Die
Linkspartei.PDS
Landesverband Sachsen-Anhalt
Außerordentliche 4. Tagung
des 9. Landesparteitages
Rede des Landesvorsitzenden Matthias Höhn
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Liebe Delegierte,
liebe Genossinnen und Genossen,
meine sehr
verehrten Damen und Herren Gäste,
hinter der
Linkspartei in Sachsen-Anhalt liegen acht Monate beinah ununterbrochenen
Wahlkampfes. Nachdem es uns gemeinsam
mit der WASG gelungen ist, in Sachsen-Anhalt das beste Ergebnis
der Linkspartei bei der Bundestagswahl im vergangenen September
zu erzielen, können wir heute sagen:
Auch die
Landtagswahlen am 26. März waren für unsere
Partei ein großartiger Erfolg!
Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede all jenen danken,
die sich in den zurückliegenden Monaten so unermüdlich
engagiert haben, den Kandidatinnen und Kandidaten ebenso wie
den vielen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern.
Erfolg hat
immer viele Väter und Mütter. Das ist allgemein
bekannt. Ich möchte es mir aber dennoch nicht nehmen lassen,
an dieser Stelle noch einmal demjenigen von Herzen Dank zu sagen,
der uns als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten
in diesen Wahlkampf geführt hat.
Lieber Wulf,
das Wahlergebnis macht deutlich, wir haben mit dir auf den
Richtigen gesetzt.
Du hast es geschafft, die Partei
genauso wie viele Wählerinnen und Wähler zu begeistern
und zu mobilisieren. Dieser Wahlsieg ist nicht zuletzt auch dein
ganz persönlicher Erfolg!
Anrede,
dieser Wahlkampf
hatte in seiner Anlage und in seinen Zielen für uns eine neue Qualität. Zum ersten Mal sind wir
mit einem Ministerpräsidentenkandidaten ins Rennen gegangen.
Zum ersten Mal haben wir so klar darauf orientiert, die Geschicke
dieses Landes in unsere Hände zu nehmen.
Wesentliche Ziele, die wir uns gesteckt hatten, haben wir erreicht:
- Wir haben
unser bestes Ergebnis bei Landtagswahlen seit 1990 erzielt.
Wir haben
uns deutlich von der SPD absetzen können.
- CDU und
FDP haben ihre Mehrheit im Landtag verloren. Dies ist allein
unser Verdienst.
Ohne den kräftigen Zugewinn
unserer Partei hätten wir auch heute eine schwarz-gelbe
Politik in Sachsen-Anhalt.
- Und schließlich
ist es uns gemeinsam mit vielen anderen gelungen, den Einzug
einer rechtsextremen Partei in den Landtag
zu verhindern. Wir wissen, dass damit keinesfalls der Kampf gegen
den Rechtsextremismus gewonnen ist, aber es war ein wichtiger
Erfolg.
Die Sozialdemokraten
haben unser Gesprächsangebot ohne
inhaltliche Begründung in den Wind geschlagen und sich zum
preiswerten Juniorpartner der CDU gemacht. Politische Inhalte
Fehlanzeige, Hauptsache genügend Posten – das scheinen
die Prämissen der SPD in Sachsen-Anhalt zu sein. Darum will
ich an dieser Stelle sagen:
Weder ich
persönlich noch die Linkspartei haben Belehrungen
von Herrn Bullerjahn über gute Oppositionsarbeit nötig.
Wir werden dort anknüpfen, wo wir in der vergangenen Legislatur
aufgehört haben.
Es war und
bleibt unser Anspruch, als Opposition Alternativen nicht nur
einzufordern,
sondern sie konsequent auch auf den Tisch
zu legen. Die Linkspartei ist ein verlässlicher politischer
Akteur. Wäre Herr Bullerjahn nur halb so konsequent, hätte
dieses Land heute wohl eine bessere Perspektive als die Böhmers
CDU.
Anrede,
nicht nur
die strategischen Ansätze waren bei dieser Wahl
für uns von neuer Qualität, auch die personellen Vorbereitungen
waren andere als bisher. Eigentlich hatte ich nicht vor, zu diesem
Thema heute nochmals Stellung zu nehmen, aber die ein oder andere
Wahlauswertung der Kreisverbände veranlasst mich dazu:
Wir haben
als Landesverband beinah das gesamte erste Halbjahr 2005 damit
verbracht, uns
darüber zu verständigen,
ob und wenn ja in welcher Form der Landesvorstand einen begrenzten
Vorschlag für die Landesliste vorlegen soll.
Im Ergebnis
gab es in Konsultation mit den Kreisverbänden
einen Vorschlag des Landesvorstandes für eine politische
Kernmannschaft, eine Mannschaft, die unseren wesentlichen Politkfeldern
in diesem Wahlkampf und in der neuen Fraktion ein Gesicht geben
sollte. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es richtig
war und ist, von einem Vorstand nicht nur Vorlagen zu Strategie
und Programm zu erwarten, sondern auch eine Position in so wichtigen
Personalentscheidungen.
Der Landesvorstand
hat dabei nicht im luftleeren Raum agiert, sondern konkrete
Aufträge der ersten Tagung dieses Landesparteitages
abgearbeitet. Den Vorwurf, die Listenaufstellung habe mit Basisdemokratie
nichts zu tun gehabt, weise ich darum deutlich zurück.
Ganz sicher
haben wir mit dem Verfahren der Aufstellung der Kernmannschaft
noch
nicht das Optimum erreicht, aber es war aus
meiner Sicht ein notwendiger erster Schritt. In Vorbereitung
der nächsten Wahlen wird sich diese Frage erneut stellen.
Anrede,
ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf eine Analyse
des Wahlergebnisses und des Wahlkampfes eingehen. Dazu wir heute
Nachmittag mit der Analyse des Landeswahlbüros, dem ich
an dieser Stelle schon einmal für seine unermüdliche
Arbeit danken möchte, noch Gelegenheit sein.
Stattdessen
noch etwas zum Thema Wahlkreisbüros:
Das Ziel
war, im gesamten Land eine Flächenpräsenz
der Landtagsfraktion und ihrer Mitglieder zu realisieren, um
möglichst in jedem Landkreis einen Anlaufpunkt für
Bürgerinnen und Bürger sowie Genossinnen und Genossen
gleichermaßen vorzuhalten.
Das Wahlergebnis
mit drei Direktmandaten und 23 Listenkandidaten hatte uns mehrere „weiße Flecken“,
vor allem in der Region Anhalt, beschert.
Heute kann
ich dem Landesparteitag sagen: Die „weißen
Flecken“ sind gefüllt.
Ich möchte mich bei den Abgeordneten Jutta Fiedler, Dolores
Rente, Angelika Hunger, Guido Henke und Stefan Gebhardt für
ihre Bereitschaft, in einem anderen Kreisverband ein Büro
zu eröffnen, herzlich bedanken. Gleichzeitig zeigen sich
mehrere Abgeordnete solidarisch und unterstützen zum Teil
diese Abgeordnetenbüros politisch, logistisch und finanziell.
Im Zusammenspiel
von Landesgeschäftsstelle, Regionalgeschäftsstellen
und Wahlkreisbüros der Bundestags- und Landtagsabgeordneten
ist unsere Präsenz und Arbeitsfähigkeit als Partei
und Fraktion gegeben. Dies ist ein großer Erfolg!
II.
Anrede,
die Landtagsfraktion
hat sich konstituiert und ihre Arbeit aufgenommen. Auf einer
Klausurberatung zu Beginn dieser Woche hat die Fraktion
ihre Schwerpunkte für die nächsten Monate definiert.
Ich habe die Chance, mich an dieser Stelle dazu kurz zu fassen,
da Wulf als Fraktionsvorsitzender unmittelbar nach mir darauf
eingehen kann und sicher auch wird.
Die Koalition
aus CDU und SPD hat ganz offensichtlich nicht den Willen und
die
Kraft, die dringend notwendigen Veränderungen
im Land auf den Weg zu bringen. Böhmer und Bullerjahn haben
sich auf ein verantwortungsloses „Weiter so!“ verständigt.
Was auf der Strecke bleibt, sind die Bürgerinnen und Bürger
dieses Land. Wo ist die Reaktion im Koalitionsvertrag auf die
dramatische soziale Situation in Sachsen-Anhalt?
Soziale Gerechtigkeit
ist und bleibt für uns der Dreh-
und Angelpunkt unserer Politik.
- Wir müssen den Umstieg in die wissensbasierte Gesellschaft
schaffen. Klassische Wachstumspolitik des 20. Jahrhunderts wird
unsere Probleme nicht lösen, das haben die letzten Jahre
gezeigt. Bildung ist einer der Schlüssel dafür.
- Die Sozialsystem
müssen umgebaut werden. Unser Ziel sind
vorsorgende Strukturen, Leistungen und Angebote. Wir streiten
für eine Familienpolitik, die vor Ort stattfindet. Lebenspraktische
Hilfe steht dabei im Vordergrund.
- Zukunft
braucht Demokratie. Teilhabe an der Gesellschaft verlangt nicht
nur
nach sozialer Chancengleicheit, sondern auch nach demokratischen
Strukturen und Mitwirkungsmöglichkeiten. Wir werden unsere
Vorstellungen zur Föderalismusreform in die Entscheidungen
einbringen.
Der euch
vorgelegte Leitantrag formuliert für den Landesverband
die nächsten Aufgaben:
- Wir haben
uns in die politischen Debatten der Landespolitik ebenso einzubringen,
wie in die Arbeit der Bundespartei. Darum
ist eine unserer zentralen politischen Botschaften auch die Forderung
nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Der Landesverband wird die
gemeinsame Kampagne von Linkspartei und WASG mit ganzer Kraft
unterstützen. Euch, liebe Genossinnen und Genossen, sage
ich. Ideen sind gefragt. Es ist unsere Aufgabe, durch öffentlichen
Druck die Bundesregierung dazu zu bewegen, nicht nur über
einen Mindestlohn zu reden, sondern in einzuführen, für
jeden, gesetzlich garantiert. Es muss Schluss damit sein, dass
Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht in Würde leben
können. Diese Kampagne wird uns mindestens bis zum Herbst
begleiten.
- Gleichzeitig
müssen wir als Landesverband unsere Bemühungen
bei der Reform unserer Arbeits- und Kommunikationsstrukturen
weiter vorantreiben.
- Darüber hinaus werden wir uns im Sommer auf einer Klausur
von Landesvorstand, Kreisvorsitzenden und Regionalmitarbeitern
sowie im September auf der nächsten Tagung des Landesparteitages
mit der Kreisneugliederung, den damit neu entstehenden Kreisverbänden
und den Kommunalwahlen 2007 befassen.
- Und schließlich ist völlig klar, der Parteibildungsprozess
wird unsere Arbeit bis zur Mitte des nächsten Jahres mit
prägen.
III.
Anrede,
Vor ziemlich
genau einem Jahr haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen
gewählt. Diese Landtagswahl war Ausgangspunkt für die
meisten Ereignisse der vergangenen zwölf Monate. Zum einem
gab es noch am Wahlabend die Ankündigung der SPD-Spitze,
die Bundestagswahlen vorzuziehen. Zum anderen folgten unmittelbar
danach Bekenntnisse mehrerer Persönlichkeiten, für
einen gemeinsamen Wahlantritt aus PDS und WASG bei den vorgezogenen
Wahlen zur Verfügung zu stehen.
Daraus entwickelte
sich rasch ein äußert dynamischer
Prozess, an dessen bisherigen Ende der Erfolg der Linkspartei.PDS
bei den Bundestagswahlen und Beschlüsse beider Parteien
mit dem Ziel der Gründung einer neuen Linken in der Bundesrepublik
stehen.
Diese zwölf Monate waren voll von Enthusiasmus und Problemen
gleichermaßen. Aber trotz allem haben auch wir das Ziel
einer neuen Linkspartei nicht aufgegeben. Im Gegeteil, wir sind
nach wie vor davon überzeugt, dass dieses Projekt mehr Chancen
als Risiken birgt, vor allem die Chance, die politischen Kräfteverhältnisse
in der Bundesrepublik nachhaltig zu verändern und die kulturelle
Kluft der demokratischen Linken in Ost und West zu schließen.
Wir haben
uns in jüngster Zeit vor allem mit organisatorischen
und wahlrechtlichen Fragen beschäftigen müssen – auch
in Sachsen-Anhalt. Wir haben dies trotz aller Zeitnot und Widerstände
erfolgreich gemeistert.
Ich will
dem Landesvorstand der WASG, der Landesvorsitzenden Dolores
Rente und allen in
der WASG, die mit uns gemeinsam in
kurzer Zeit durch zwei Wahlkämpfe gegangen sind, danken.
Es ist nicht zuletzt auch diesem Ringen um Gemeinsamkeit zu verdanken,
dass wir heute mit einer starken Landesgruppe in der Bundestagsfraktion
und einer gestärkten Landtagsfraktion parlamentarisch verankert
sind.
Anrede,
wer aber
nun hofft, wir hätten die größten Schwierigkeiten
gemeistert, täuscht sich. Die eigentlich politische Herausforderung
steht uns noch bevor:
Wir sind aufgerufen zu bestimmen, was der Platz einer gemeinsamen
Linken im politischen System der Bundesrepublik sein soll, welche
strategischen und programmatischen Ziele sie verfolgt.
Wiederholt
sie Fehler, zum Teil gravierende Fehler, die die Linke in Ost
und West
nach 1949 begangen hat, wird sie scheitern.
Für eine solche Linke ist kein Platz in dieser Republik.
Besinnt sie sich auf ihre Stärken, auf ihre Erfahrungen
vor allem nach 1989 und auf ihre Aufgabe, dieses Land zu verändern,
wird sie erfolgreich sein und einen dauerhaften Platz im politischen
Spektrum erobern können.
Einiges an
den programmatischen Debatten der letzten Wochen, vor allem
seit der Vorlage der „Programmatischen Eckpunkte
auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland“ beunruhigt
mich. Ich habe in der Tat die Sorge, dass wir alte Fehler doch
wiederholen – aus welchen Motiven auch immer. Lese ich
die Beiträge, die es in Reaktion auf die Eckpunkte gegeben
hat, lese ich die strittig gestellten Passagen in den Eckpunkten
selbst, komme ich zu der Schlussfolgerung:
Es ist unsere gemeinsame dringende Aufgabe, dass wir uns als
Landesverband in diese Programmdebatte einbringen. Es ist unbedingt
notwendig.
Ich will
heute die Gelegenheit nutzen, einige Prämissen
zu unserer Identität, unserem Anspruch und unseren Inhalten
als Linkspartei zu benennen, über die es aus meiner Sicht
einer Verständigung mit der WASG, aber auch unter uns selbst,
bedarf und die wir in den Parteibildungsprozess einbringen:
1. Wir sind
demokratische Sozialistinnen und Sozialisten – zu
unserer Identität:
Sozialismus
ist für uns Ziel, Weg und Wertesystem gleichermaßen.
Wir setzen uns als Ziel eine Gesellschaft, in der die freie
Entwicklung einer und eines jeden zur Bedingung der freien Entwicklung
aller geworden ist.
Sozialismus
ist für uns eine Bewegung gegen Ausbeutung,
patriarchale Unterdrückung, Plünderung der Natur, für
die Bewahrung und Entwicklung menschlicher Kultur, für die
Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft,
in der Bürgerinnen und Bürger ihre Angelegenheiten
demokratisch regeln.
Sozialismus
ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit,
Gleichheit und Solidarität, Emanzipation, Gerechtigkeit,
Erhalt der Natur und Frieden untrennbar miteinander verbunden
sind.
So ist es
sinngemäß in unserem Parteiprogramm formuliert.
Dies ist Ergebnis eines langen und klärenden Diskurses gleichermaßen.
Es beschreibt unsere Maßstäbe, unsere Aufgabe. Es
ist unsere Identität, die wir in den Parteibildungsprozess
einzubringen haben, selbstbewusst, aber nicht ausgrenzend.
Im Papier „Für eine antikapitalistische Linke“ heißt
es über die PDS:
„Während die konkrete Bewertung ihrer Vorgeschichte
und Vergangenheit umstritten blieb, gehörte Kapitalismuskritik
und die Orientierung auf das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft
zu ihrem Gründungskonsens.“
Dem muss
energisch widersprochen werden. Elementarer Bestandteil unseres
Gründungskonsens war eine klare Aussage zur Vorgeschichte
und Vergangenheit, nämlich der unwiderrufliche Bruch mit
dem Stalinismus und Poststalinismus, mit den diktatorischen Zügen
unserer gemeinsamen Geschichte.
Und nicht
zuletzt weil auch Mitglieder aus Sachsen-Anhalt dieses Papier
unterzeichnet
haben, sage ich sehr deutlich: Wer den Gründungskonsens
unserer Partei infrage stellt oder umzudeuten versucht, der setzt
unsere Identität aufs Spiel, der setzt die Zukunft einer
demokratischen Linken aufs Spiel. Wer glaubt, er könne sich
durch die Geschichte mogeln, ist selbst nicht mehr als eine Mogelpackung.
Darum lasst
mich nochmals etwas zu Kuba sagen: Ich habe in meinem Interview
diese Woche
mitnichten eine Gleichsetzung des Militärstützpunktes
Guatanamo und der Sozialistischen Republik Kuba vorgenommen.
Ich habe in der Frage der Menschenrechte einen gleichen Maßstab
eingefordert. Das ist etwas anderes. Und dieser Maßstab
muss für alle gleich sein – für die Vereinigten
Staaten, für Kuba, für die Europäische Union,
für die Bundesrepublik, für Weißrussland, für
wen auch immer.
Wenn es Menschen
nicht gestattet wird, ihr Land zeitweise oder ganz zu verlassen,
dann erinnern wir uns bitte mal daran, was
eine der wesentlichen Forderungen der Bürgerinnen und Bürger
der DDR war: das Recht auf Freizügigkeit. Wer eine Kritik
daran als unzulässig erachtet, der hat bis heute nicht verstanden,
warum die DDR untergegangen ist. Gerade weil uns etwas an der
Zukunft Kubas liegt, dürfen wir dazu nicht schweigen.
In den „Programmatischen Eckpunkten“ ist
strittig gestellt, also offen gelassen, in welchem Widerspruch
bzw. Zusammmenhang
die Werte Freiheit und Gerechtigkeit zueinander stehen.
Es ist unsere Aufgabe, in den kommenden Diskussionsprozess einzubringen,
das Freiheit und Gerechtigkeit für uns untrennbar miteinander
verbunden sind.
Zu unserer
Identität gehört der Kampf gegen jede Form
von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.
Die schlimmen Vorfälle der jüngsten Vergangenheit machen
schmerzhaft deutlich: Rechtes Gedankengut ist in der Mitte der
Gesellschaft längst angekommen. Gleichzeitig wird das Auftreten
der Neonazis immer gewaltbereiter. Unabhängig von notwendigen
Maßnahmen durch Polizei und Justiz, ist für uns der
Kampf gegen den Rechtsextremismus langfristig nur in den Köpfen
der Menschen zu gewinnen. Darum haben gerade auch politische
Parteien und Akteure die Pflicht und die Verantwortung, durch
populistische Äußerungen und Parolen diesem Gedankengut
nicht noch Vorschub zu leisten. Wir wollen und werden als Teil
der Zivilgesellschaft in einem möglichst breiten Bündnis
dafür streiten – jeden Tag.
2. Wir wollen
dieses Land verändern – zu unserem
Anspruch:
In den ostdeutschen
Bundesländern haben wir als PDS seit
1990 kontinuierlich an Zustimmung gewonnen. Mittlerweile sind
wir in mehreren Ländern deutlich zweitstärkste Kraft,
in Brandenburg haben wir bei der letzten Landtagswahl knapp den
ersten Platz verpasst.
Dieser andauernde
Erfolg bei Landtags- und Kommunalwahlen in den neuen Bundesländern hat verschiedene Gründe. Natürlich
wählen uns Bürgerinnen und Bürger auch aus Protest.
Natürlich wählen uns viele mit Blick auf ihre eigenen
Biographien. Meines Erachtens liegt der wichtigste Grund in unserer
verantwortungsbewussten und stetigen Arbeit vor Ort.
Wir waren
und sind Anlaufpunkt für Bürgerinnen und
Bürger. Viele Mitglieder der Linkspartei.PDS sind in Vereinen
und Verbänden aktiv. Die Wählerinnen und Wähler
haben uns im Ringen um bessere Lösungen für ihre alltäglichen
Probleme erlebt. Sie schätzen unsere Kompetenz in den lokalen
und Landesparlamenten. Nicht zuletzt verbinden viele mit uns
Hoffnungen und Erwartungen.
Schaut man
sich nun an, in welchem Maße sich der unmittelbare
Einfluss auf Entscheidungen verändert hat, ist festzustellen:
Er bleibt hinter den Wahlerfolgen zurück.
Unsere Wahlerfolge
enden beinah immer in einem strategischen Dilemma. Es ist zumeist
unser Verdienst, parlamentarische Mehrheiten
links von CDU und FDP zu ermöglichen. Nur ist es bisher
mit wenigen Ausnahmen nicht gelungen, diese strukturellen Mehrheiten
der Wählerinnen und Wähler politisch und parlamentarisch
handlungsfähig zu machen.
Dafür gibt es wiederum unterschiedliche Gründe. Die
Frage, die wir uns zu allererst aber als gesamte Partei, als
gemeinsame Linke beantworten müssen, lautet: Wollen wir
diese Handlungsfähigkeit überhaupt, oder finden wir
uns mit diesem status quo ab?
Manche schreiben
dieser Tage, eine Regierunsgbeteiligung wäre
unter den gegebenen Bedingungen die „schlechteste aller
denkbaren Varianten“ für die gemeinsame Linke. Ich
möchte dem eine Frage entgegenstellen: Geht es uns um den
bequemsten Weg für die Linke, oder geht es uns um den besten
Weg, Veränderungen für die Bürgerinnen und Bürger
zu erreichen?
Niemand behauptet,
Regieren gelinge schmerzfrei. So manches Mal habe ich aber
den Eindruck, einige von uns sind immer wieder
schwer erleichtert, wenn es nicht dazu kommt. Und die, die es
aber tun – wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, die
stören so manchen bisweilen, weil sie uns unsere gemeinsamen
konzeptionellen Defizite offenbaren und weil sie keine einfachen
Antworten auf schwierige Fragen geben.
Mit vielen
Verbündeten haben wir gegen die Hartz-IV-Reformen
demonstriert, wir haben Anträge in die Landesparlamente
eingebracht. Wir haben ihre Umsetzung nicht verhindern können.
Danach wurde
sofort die Forderung erhoben, wir müssten
die Koalitionen verlassen, sonst würden wir uns mit schuldig
machen und neoliberale Politik umsetzen. Wenn ich mir heute anschaue,
dass in Berlin, einer Stadt mit über 300.000 Bedarfsgemeinschaften,
nur ein einziger Umzug wegen Überschreitens der Wohnungsvorgaben
notwendig war, dann gibt es meines Erachtens keinen besseren
Beleg dafür, wie wichtig unsere Verantwortung in diesen
beiden Ländern war und ist. Und ich wünsche uns, dass
es auch dabei bleibt.
Dies ist ohne Frage nicht nur einer der entscheidenden Konfliktpunkte
innerhalb unserer Partei, sondern auch mit der WASG. Die Frage,
inwieweit es uns als Linkspartei.PDS gelingt, die Elemente des
strategischen Dreiecks aus Vision, Protest und Gestaltung in
die Programmatik der neuen Linken zu integrieren, ist meines
Erachtens eine entscheidende Sollbruchstelle.
Eine Linke,
die sich auf eine Schönwetterpolitik mit gelegentlichem
Hau-Drauf-Jargon beschränkt, ist eine überflüssige
Linke. Darum sage ich denjenigen aus WASG und Linkspartei, die
die Arbeit unserer Genossinnen und Genossen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern
als „Politik ähnlich der des neoliberalen Parteikartells“ bezeichnen:
Hört auf mit diesem ideologischen Unfug! So wird der Parteibildungsprozess
nicht gelingen. Politk, die mit dem Heute nichts zu tun haben
will, wird auch morgen nicht Realität werden.
3. Wir müssen eine linke Konzeptpartei werden – unsere
Inhalte:
Folgende
Episode ist überliefert: Ein Professor händigte
die Unterlagen für das Abschlußexamen aus und verursachte
einige Verwirrung bei den Studenten. Einer von ihnen sprang auf
und rief aufgeregt: „Aber, Herr Professor, das sind ja
die gleichen Fragen, die Sie uns bei der letzten Klausur gestellt
haben!“ – „Stimmt“, sagte er, „aber
die Antworten haben sich geändert.“
Vor derselben
Situation stehen wir, und werden wir auch in Zukunft immer
wieder stehen.
Die tief greifenden gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Veränderungen, nicht nur in der Bundesrepublik,
sondern weit darüber hinaus stellen uns als Linke vor eine
ungeheure Herausforderung. Die Menschen spüren diese Veränderungen,
jeden Tag, meist gefolgt von negativen Auswirkungen.
Unsere Gesellschaft
schrumpft, und sie wird älter. Gleichzeitig
explodieren die Bevölkerungszahlen in anderen Teilen der
Welt.
Unsere Industriegesellschaft wandelt sich, und gleichzeitig
wandern bisherige Arbeitsfelder aus.
Unsere Ressourcen werden knapper, und gleichzeitig steigt in
anderen Teilen der Welt der Bedarf dramatisch.
Unsere Gesellschaft
wird vielfältiger, und gleichzeitig
nehmen religiöse oder ethnische Konflikte hier und anderswo
zu.
Die globalisierte
Welt rückt zusammen, und gleichzeitig
wachsen die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer weiter.
Die Fragen,
die wir als Linke zu beantworten haben, sind kaum andere als
zuvor:
Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität waren
unsere Themen, sie werden es bleiben. Aber wie erreichen wir
unsere Ziele in einer sich derart rasant verändernden Welt.
Wir sind als Linke gezwungen, unsere Konzepte jeden Tag auf den
Prüfstand zu stellen. Es geht uns nicht um politische Bekenntnisse,
es geht uns um die Praxistauglichkeit unserer Vorschläge.
Wir haben
uns als Landesverband bereits vor zwei Jahren auf den Weg gemacht,
unsere konzeptionelle Ausrichtung weiter zu
entwickeln. Wir sind noch nicht am Ende angelangt, das werden
wir wohl auch nie. Aber wir haben einen gehörigen Sprung
gemacht. Unsere Positionen zu einer vorsorgenden Gesellschaftspolitk,
statt einer nachsorgenden Sozialpolitik, unser Konzepte für
eine moderne Bildungspolitik, unsere Lösungsansätze
zum Umgang mit der schwierigen Situation der öffentlichen
Haushalte – als das haben wir in die Debatte einer neuen
Linkspartei einzubringen.
Auf andere
Fragen haben wir als Linke noch keine wirklich durchgreifenden
Antworten
gefunden. Was nicht reichen wird, ist zu glauben, linke
Politk bestünde darin, immer genau das Gegenteil der „Neoliberalen“ zu
propagieren. Die Antwort auf Deregulierung ist nicht immer Regulierung.
Die Antwort auf bedingslose Privatisierung ist nicht immer der
Staat. Unsere Konzepte müssen genauso vielschichtig sein,
wie die Probleme, die es zu bewältigen gilt. Die Bürgerinnen
und Bürger erwarten von uns nicht, dass wir ihnen jeden
Tag sagen, wie schlecht es ihnen geht. Sie erwarten von uns,
dass wir etwas dafür tun, damit es ihnen besser geht.
Anrede,
die neue Linkspartei wird nicht eine PDS mit neuem Anstrich
sein.
Sie wird
viel mehr als bisher als Partei eine Plattform sehr unterschiedlicher
linker Strömungen sein: demokratische
Sozialistinnen und Sozialisten, linke Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten, undogmatische und liberale Linke genauso wie
Anhängerinnen und Anhänger der christlichen Soziallehre
und andere mehr.
Die Aufgabe,
die vor uns liegt, lautet, dafür eine programmatische
Basis zu formulieren, die linke Politik im Hier und Heute ermöglicht,
die dabei das Ziel einer solidarischen Gesellschaft nicht aus
den Augen verliert und gleichzeitig offen ist, offen für
die Veränderungen rings um uns herum und offen für
den Dialog.
Ich danke euch.
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