PolitikParteiProgrammWahlenLinksemail
AktuellPDS-LandtagsfraktionPDS-LandtagsfraktionPDS-KreisverbändePDS-KreisverbändePDS-onlinePDS im Bundestagbildungsverein-elbe-saale

1. Tagung des 9. Landesparteitages der PDS Sachsen-Anhalt
am 18. und 19. Juni 2005 in Wittenberg

Rede von Wulf Gallert

 

Sachsen-Anhalt am Scheideweg

I. Die aktuelle Situation

Die bundespolitischen Ereignisse beherrschen zur Zeit in nachvollziehbarer Weise die politische Diskussion auch auf der Landesebene. Trotzdem ist und bleibt es unserer Aufgabe, 9 Monate vor den nächsten Landtagswahlen die soziale und ökonomische Situation des Landes zu analysieren und unserer Strategien für die Entwicklung Sachsen-Anhalts in den Ring der politischen Auseinandersetzung zu werfen.

Wie stark die Koalition von CDU und FDP eine solche Auseinandersetzung fürchten, machte der Vorschlag der FDP-Landesvorsitzenden C. Pieper deutlich, die LT-Wahlen in Sachsen-Anhalt gleich auf den Bundestagswahl-Termin im September dieses Jahres vorzuziehen, um sich hinter dem Bundestrend zu verstecken. Natürlich kann man dies bei Umfrageergebnissen von ca. 5 % auf Landesebene verstehen. Allein dieser Vorschlag macht deutlich, dass man offensichtlich selbst nicht an die eigene Erfolgspropaganda glaubt, nachdem sich Sachsen-Anhalt seit der Regierungsübernahme von CDU/FDP von einem irdischen Jammertal zum Land, in dem Wirtschaftskraft und Investitionen fließen, entwickelt hatte.

Vor diesem Hintergrund wäre es ein Leichtes, dieser Koalition die sozialen Verwerfungen und ökonomischen Misserfolge - in Sachsen-Anhalt seit 2002 - vorzuwerfen, um dann aus der Oppositionssicht blühende Landschaften zu versprechen.

Eine solche Kampagne könnte sehr erfolgreich sein, - 2002 fand sie unter dem Motto „Höppner geht – die Arbeit kommt“ oder „Rote Laterne abwählen“ - statt und sie hat zum Erfolg für CDU/FDP geführt.

Liebe GenossInnen, ich appelliere jedoch an uns als Landespartei, einen solchen Weg nicht zu gehen. Wir würden damit diejenigen ignorieren, die trotz widriger Rahmenbedingungen sich in Wirtschaft und Gesellschaft behaupten konnten, wir würden diejenigen zusätzlich entmutigen, die in dieser Gesellschaft massenhaft durch Arbeitslosigkeit, Hartz IV, einem selektiven Bildungssystem und vielem mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Deswegen, und nicht aus Angst vor der Härte der Wahlkämpfe sollten wir vorsichtig sein mit Einschätzungen zur Lage im Land, die durch Begriffe, wie verheerend oder katastrophal, gekennzeichnet sind. Deswegen sollten wir aber auch Zurückhaltung üben in Versprechungen von 100 000den von Arbeitsplätzen oder der massiven Erhöhung der Kommunalfinanzzuweisungen aus der Landeskasse.

Geboten ist vielmehr eine Analyse der realen Voraussetzungen in Sachsen-Anhalt der Risiken und der Chancen.

Im Ergebnis einer solchen Analyse kommen wir zu dem Schluss, dass sich Sachsen-Anhalt am Scheideweg befindet. Trotz des massiven Einsatzes von öffentlichen Mitteln müssen wir weiter konstatieren, dass abgesehen von kurzfristigen Effekten Sachsen-Anhalt sich sozial-ökonomisch und kulturell in Stagnation - zum Teil in Degenration - befindet.

Wichtige Parameter dazu sind unter anderem die Wirtschaftsdaten - die Entwicklung des BJP, der Arbeitslosigkeit, des Steueraufkommens. Alle wesentlichen Rahmendaten widersprechen der These von der Annäherung des Ostens an den Westen, in Sachsen-Anhalt, wie im gesamten Osten Deutschlands.

Die zentrale Gefahr für unser Land geht jedoch von einem anderen Phänomen aus - der anhaltende und gravierende Bevölkerungsverlust -. Zum einen zeigt die anhaltende geringe Geburtenrate in unserem Land den weit verbreiteten Zukunftspessimismus in der Bevölkerung, zum anderen macht sich hier schon schmerzhaft die Abwanderung der Elterngeneration bemerkbar. Darüber hinaus hält der Wanderungsverlust des Landes an. Er betrug 2004 wieder rund 16 000 Menschen und war damit deutlich höher als 2003.

Diese Entwicklung bestimmt die zentrale Herausforderung von Politik in den nächsten Jahren in Sachsen-Anhalt. Die Abwanderung betrifft vor allem die Jungen, die Frauen und die höher Gebildeten. Die Gefahr besteht darin, dass wir die Träger der mittel- und langfristigen Entwicklung für unser Land verlieren.

Diese Gefahr zu konstatieren, reicht jedoch nicht aus, wir müssen die Ursachen für diese Entwicklung definieren und daraus Handlungsalternativen ableiten. Dabei geht es vor allem um eine qualitative Analyse - der Ruf nach einfach mehr Geld wird kaum zielführend sein und hat auch in der Vergangenheit nicht zum Erfolg geführt.

Das eigentliche Problem des Osten Deutschlands, insbesondere Sachsen-Anhalts, ist der Versuch, den Osten ab 1990 nach dem Vorbild des Westens der 80er Jahre aufzubauen. Mit Unsummen von Steuergeldern ist versucht worden, in einen gesättigten Markt zu intervenieren und konventionelle Industriestruktur auf der Basis öffentlicher Förderung und niedrigerer Lohnkosten zu installieren.

Gleichzeitig musste sich aber die Industriegesellschaft auf den Qualitätssprung zur wissensbasierten Produktion und globalisierten Rahmenbedingungen einstellen. Schlagartig konkurrierten nun die Billigarbeitsplätze in Ostdeutschland mit denen in Polen, in der Ukraine, in Indien und Vietnam.

Zur Zeit erleben wir die radikale Marktbereinigung in diesem Bereich und den lächerlichen Versuch, über Lohndumping und Arbeitszeitverlängerung konkurrenzfähig zu bleiben.

II. Unser politisches Programm für Sachsen-Anhalt

Wie kann man jedoch darauf reagieren? Aus meiner Sicht dürfen wir uns nicht in die Sackgasse der sicher gut gemeinten, aber ebenso erfolglosen konservativen Sozialstaatspolitik hineinbegeben.

Spätestens seit Karl Marx kennen wir die Wechselwirkung von Basis und Überbau - von Produktivkraftentwicklung und politischen Systemen. Sich der Globalisierung der Wirtschaftsprozesse sowie der Entwicklung zur wissensbasierten Produktion zu widersetzen, wäre die moderne Form der Maschinenstürmerei. Unser Ziel muss die politische Gestaltung dieses Prozesses sein, unsere Politik muss darauf gerichtet sein, den Grundwert der sozialen Gerechtigkeit als Ziel und Basis der gesellschaftlichen Innovationsprozesse zu definieren.

Im Zentrum unserer Überlegungen steht der Mensch als Träger dieser Entwicklung. Die wissensbasierte Gesellschaft kennt als entscheidenden Entwicklungsmotor den innovativen Arbeitnehmer, den produktiven Unternehmer, den engagierten Bürger in der Kommune, der nicht durch permanente Existenzangst und einen vormundschaftlichen Kontrollstaat, wie ihn viele Menschen mit ALG II zu Zeit erleben, in seiner Würde bedroht oder verletzt wird.

Wenn aber der Mensch mit seinem fachlichen und gesellschaftlichen Potenzial den Kern der Entwicklung bestimmt, dann brauchen wir auch ein substanzielles Umsteuern in der Politik, in der mit den überkommenen Weisheiten gebrochen wird und die Herausforderungen der Zukunft bewältigt werden können. Dazu benötigen wir auf Landesebene en radikales Umsteuern - ein qualitativer Schritt, den diese Landesregierung nicht gehen will und auch nicht gehen kann -.

Nach der Klausurtagung im September werde ich der Partei und der Öffentlichkeit dazu ein komplexes Konzept zur langfristigen Entwicklung des Landes vorlegen, in dem die Arbeit von Wissenschaftlern, der Fraktion und von Facharbeitskreisen eingeflossen ist.

Im Folgenden will ich die wichtigsten Eckpunkte unserer Handlungsstrategie kurz zitieren:

1. Die PDS tritt für eine völlige Neuorientierung in der Haushaltspolitik der öffentlichen Hand auf der Basis der Bildungsquote als Ablösung der Investitionsquote ein. Wertschöpfungsprozesse werden in der Zukunft hier und nicht durch den Standort von Fabrikhallen entschieden (Konzept vorgelegt ® Öffentliche Diskussion)

2. Der gleichberechtigte Zugang aller zur Bildung, der vor allem durch die jetzige Landesregierung im KiföG-Bereich, aber nicht nur dort (Musikschulen) beschnitten wird. Die BRD entwickelt sich in bezug auf das Bildungskapital zu einem mittelalterlichen Ständestaat. Während Kinder aus bildungsfernen Familien kaum höhere Schulabschlüsse schaffen, ist der Studienplatz für den Arztsohn faktisch garantiert. Die Ursachen hierfür liegen vor allem in der Phase der frühkindlichen und Grundschulbildung. In Sachsen-Anhalt verschärft sich die Situation noch dadurch, dass immer mehr Kinder in sozial prekären Verhältnissen (Bedarfsgemeinschaften) leben, die objektiv nicht die Möglichkeit zur vollen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben. In Sachsen-Anhalt werden viel zu wenig Kinder geboren - aber dieses Land ist nicht bereit und in der Lage, diese wenigstens optimal zu fördern -.

Wenn Herr Böhmer und Herr Paqué über die Belastung der nächsten Generation durch die Haushalts-Verschuldung jammern, dann sagen wir: „Werte Herren, der eigentliche Skandal besteht darin, dass einem großen Teil der nächsten Generation der Zugang zum all entscheidenden Bildungskapital verwehrt und uns damit als Gesellschaft insgesamt die Perspektive genommen wird – dagegen sind die beachtlichen Gefahren, die von einer Überschuldung der öffentlichen Haushalte ausgehen, eher zu zweitrangig.

Die konzeptionelle Basis für die Förderung ist der von der PDS unterstützte Gesetzesentwurf zur Kinderbetreuung des Volksentscheides. In den nächsten Wochen wird die Landtagsfraktion ein überarbeitetes Konzept zur Bildung elementar für den frühkindlichen Bereich vorstellen.

3. Reden wir über die Schule. Sachsen-Anhalt hat hier einiges an Veränderungen durch – verständlicher Weise ist vieles als Hüh und Hott, als Hin und Her verstanden worden. Und trotzdem: Veränderungen tun not. Unsere Landtagsfraktion hat im Frühjahr ein Schulkonzept vorgestellt, das beides berücksichtigt. Das den Übergang zu längerem gemeinsamen Lernen – einer der wichtigsten Lehren aus den für uns vernichtenden PISA-Studien – in Sachsen-Anhalt möglich macht, ohne für die jetzt lerndenden Schülerinnen und Schüler alles durcheinander zu bringen. So sollen zunächst die unterschiedlichen Schultypen für Abschlüsse auch von anderen Schultypen geöffnet werden. In der Perspektive freilich brauchen wir auch in Sachsen-Anhalt eine moderne Schule für alle, eine Sekundarschule für alle. Das hängt im übrigen auch – das zeigen die aktuellen Debatten und Entscheidungen in Mecklenburg-Vorpommern – mit der Notwendigkeit zusammen, Kindern aus den immer dünner besiedelten ländlichen Räumen Schulbildung in hoher Qualität und noch erträglicher Entfernung vom Wohnort anbieten zu können. Das gegliederte Schulsystem ist eben einfach in jeder Hinsicht zu uneffektiv und zu teuer. Schlechte Bildung zu hohen Kosten und bei hoher sozialer Ausgrenzung – damit muss nun wirklich Schluss gemacht werden. Für die nächste Legislaturperiode werden wir einen entsprechenden Schulgesetzentwurf vorlegen.

4. Eine soziale und demokratische Reform ist auch für die Berufsausbildung nötig und möglich. Es geht nicht allein darum, dass Elend zu überwinden, dass jedes Jahre wieder Ausbildungsplätze fehlen. Es geht auch darum, die Jugendlichen, die ohne Ausbildungsplatz blieben, in irgendwelchen Maßnahmen zu parken, die ihnen auch nicht helfen. Zwei Dinge müssen angepackt werden:

a) Jugendliche mit schlechten Schulabschlüssen dürfen nicht von der beruflichen Ausbildung ausgeschlossen werden – und sie brauchen im Zusammenhang mit der Berufsausbildung die reale Chance, ihre Voraussetzungen aufzubessern. Wir haben einfach nicht das Recht, erst die kleinen Kinder vom Zugang zu Bildung auszuschließen, dann die Sechs- bis Sechzehnjährigen durch ein fehlkonstruiertes Schulsystem zu schleusen und am Ende die Verlierer dieses Prozesses auch noch von einer hinreichenden beruflichen Qualifikation fern zu halten. So kann man gesellschaftliche Verantwortung nicht buchstabieren!!

b) Auf der anderen Seite müssen die traditionell strengen Grenzen zwischen beruflicher Ausbildung und Hochschulqualifizierung aufgebrochen werden. Das setzt sicher einerseits eine stärker praxisbezogene Komponenten beim Hochschulstudium voraus – andererseits (und das vor allem) eine besseren Anschluss der beruflichen Ausbildung an Hoch- und Fachschulniveau. Eine Informations- und Wissensgesellschaft, eine high-tech-basierte Wirtschaft kennt den klassischen Unterschied zwischen Hufschmied und Professor eben nicht mehr – also muss das endlich auch in den berufsvorbereitenden Bereichen deutlich werden!

Am Ende geht es nicht um gute Zensuren und interessante Seminare – sondern es geht um schlaue Köpfe und um deren Lebenschancen. Nach der Ausbildung muss der Job stehen! Wir wollen dazu beitragen, für junge Leute die Schwellen vor der Erwerbsarbeit abzubauen. Deswegen werden wir bis Dezember eine Überarbeitung unseres Konzeptes „Jugend in Arbeit“ (JinA) vorlegen.

5. Weil wir es mit Innovation und Bildung wirklich ernst meinen, sagen wir – im Wissen um die Haushaltslage des Landes: Die zehnprozentige Kürzung im Hochschulbereich, die die jetzige Landesregierung vorgenommen hat, wird rückgängig gemacht! Dieses Land hat nur eine Perspektive auf der Basis von wissensbasierter Produktion – also liegen hier die entscheidenden Zukunftsinvestitionen. Die demografische Entwicklung ist hier nun wirklich kein geeignetes Gegenargument! Liebe Genossinnen und Genossen – wenn wir denn wissen, dass wir im Land zu wenig junge Leute haben, dann müssen wir doch wohl erstens dafür sorgen, dass möglichst viele von ihnen bleiben. Und zweitens müssen wir unser Land interessant und attraktiv für den Zuzug junger Menschen aus anderen Ländern machen! Ja, richtig: Wir wollen junge Menschen aus anderen Teilen Deutschlands, Europas, der Welt perspektivisch nach Sachsen-Anhalt locken. Sachsen-Anhalt soll langfristig ein europäischer Hochschul-Standort werden. Dazu gehört auch der Verzicht auf Studiengebühren und die damit verbundene soziale Auslesen – wir wollen die Kreativität von jungen Menschen aus allen sozialen Schichten. Dafür scheuen wir uns nicht, auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zu fordern.

6. Auch die Wirtschaftsförderung muss strikt darauf ausgerichtet werden, ein innovatives nachhaltiges Potenzial zu stabilisieren, zu entwickeln und aufzubauen. Das wird Einschnitte mit sich bringen – aber die Mittel sind nicht unendlich; Milch und Honig im Überfluss hat niemand zu verteilen. Eine raffiniert ausgetüftelte breite Förderung nach Branchen und Regionen werden wir uns nicht länger leisten können – zumal der Ertrag dieses Ansatzes bisher auch kritisch hinterfragt werden darf. Wie wir uns eine solche moderne Wirtschaftsförderung vorstellen, werden wir bald im Detail deutlich machen. Im Oktober stellen wir unser Konzept „Wissenschaf(f)t Arbeit“ vor – und werden damit auch zeigen, wie die Potenziale von Hochschulen und Wirtschaft im Lande sinnvoll verknüpft werden können.

7. Innovation statt Billiglohn – dies muss die Alternative für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Osten sein. Darüber gibt es über die Grenzen der PDS hinaus, z. B. mit den Gewerkschaften, aber auch mit SozialdemokratInnen, Konsens. Billiglohn setzt eine Spirale sozialer Depression in Gang – wir erleben das schon: das soziale und kulturelle Lebensniveau der Menschen sinkt, die Binnennachfrage geht zurück, technischer Fortschritt wird erschwert, ein innovationsfeindliches Klima entsteht. Dieser Entwicklung muss man auf zwei Ebenen begegnen:

a) Einführung eines gesetzlichen, bedarfsorientierten Mindestlohns.

b) „Einfache“ Arbeit zu menschenwürdigen Bedingungen. Schluss damit, dass der Globalisierungsdruck vor allem bei den gering Qualifizierten abgeladen wird – oder bei denen, die in solche Jobs abgedrängt wurden, die nur eine geringe Qualifikation erfordern. Nein, liebe Genossinnen und Genossen – diese Arbeit, die es trotz Übergang zur Wissensgesellschaft noch in beträchtlichen Größenordnungen gibt und geben wird, soll für die Betroffenen wie für die Unternehmen lohnender werden. Das ist die Antwort! Also: Statt Nettolohnreduzierung, wie sie von den anderen Parteien betrieben werden, jetzt eine Bruttolohnentlastung. Die Solidarität der Gesellschaft soll sich in einer (vollständigen oder teilweisen) Freistellung der Arbeitsverhältnisse der unteren Tarifgruppen von Sozialabgaben und Steuern für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausdrücken – dies unter der Voraussetzung, dass an Tarifstrukturen überhaupt festgehalten wird und das zusätzliche Beschäftigung entsteht. [Magdeburger Alternative] – Wir werden unsere Vorstellungen dazu bis Jahresende in den neu gefassten arbeitsmarktpolitischen Leitlinien darlegen.

8. In diesen Leitlinien wird es auch noch um etwas anderes gehen – nämlich um die Frage nach neuen Arbeitsplätzen, nach neuer Arbeit. Liebe Genossinnen und Genossen, allein mit Hartz IV sind Milliarden aufgewandt worden, die letzten Endes nur dazu dienen, den Ausschluss von Menschen aus der Erwerbsarbeit zu finanzieren – bei gelegentlichen Gastrollen am Rande der Arbeitswelt als Ein-Euro-Jobber – alles in allem also auf elendem Niveau. Anders herum wird ein Schuh daraus! Wir wollen diese Milliarden nutzen und damit richtige, reguläre, SV-pflichtige Beschäftigungsverhältnisse einrichten. Der erste Schritt soll sein, Langzeitarbeitslosen zunächst all das, was sie an Zahlungen erhalten – „Mehraufwandsentschädigung“ aus dem Ein-Euro-Job, ALG, Wohngeld – und dazu einen Aufstockungsbetrag etwas aus der wieder einzuführenden Vermögenssteuer nicht als Almosen, sondern als Nettolohn auszuzahlen. Sie arbeiten anständig, also muss man sie auch wie anständige Arbeitnehmer behandeln. Wo aber könnten sie arbeiten? Dort, wo Dienstleistungen für einzelen und für das Gemeinwesen aus der Sicht der Privatwirtschaft nicht profitabel erscheinen. Dort, bei solchen neuen Tätigkeiten, wollen wir über einen längeren Zeitraum erproben, ob Projekte sich nach einiger Zeit selbst tragen, ob dauerhafte öffentliche Finanzierung stattfinden soll oder ob eine zahlungswillige Nachfrage eine Teilerwirtschaftung der Kosten im Rahmen öffentlich geförderter Beschäftigung ermöglicht. – Auch zu solchen Fragen werden wir uns mit unseren arbeitsmarktpolitischen Leitlinien bis Jahresende äußern.

9. Was ist mit denen, die aus dem Erwerbs- und Wirtschaftsleben heraus gedrängt wurden? Die aus anderen sozialen, gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen nicht mit eigener Hände Arbeit für ihren Lebensunterhalt sorgen können? Die sich in Jobrotation befinden? Sie brauchen – jenseits der bestehenden und zu verteidigenden sozialen Sicherungssysteme – eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung. Das ist eine Frage der Würde des Menschen, eine Frage des anständigen Umgangs miteinander in einer Gesellschaft im Umbruch. Es ist auch eine Frage der Voraussetzungen für die aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Rot-Grün im Bund hat einige Schritte in Richtung einer sozialen Grundsicherung unternommen – allerdings im Gewand von Hartz IV und alles in allem nicht armutsfest. Diese Grenzen wollen wir nicht akzeptieren. Im Dezember 2005 stellen wir unser sozialpolitisches Konzept vor.

10. Es geht immer wieder darum, Solidarität, mitmenschliche Verantwortung und Eigenverantwortung in der Balance zu halten – und deswegen neu zu organisieren. Vor diesem Hintergrund plädieren wir für Bürgerkommune und Bürgergesellschaft in Verbindung mit einem aktiven Staat. Dabei setzen wir einen klaren Akzent: Wir wollen die weiter gehende Demokratisierung der Gesellschaft – und wir sehen darin nicht allein die Ausweitung der Partizipation, sondern dazu gehören eben auch unverzichtbar deren soziale und materielle Voraussetzungen. Deswegen ist für uns eben die Bürgerkommune nicht der Notbehelf nach dem Abbau des Sozialstaats. Aus dem Antrag an den Parteitag wird das deutlich. Es wird deutlich, dass wir damit jenseits der Vorstellungen vom fürsorglichen Staat mit radikalen Hierarchien stehen. Es wird deutlich, dass wir für die Verteidigung bürgerlicher Freiheitsrechte stehen – beim Akteneinsichtsrecht, beim Datenschutz, bei Menschenrechtsverletzungen durch den Staat.

11. Wir stehen auch für eine moderne und leistungsfähige Verwaltungsstruktur. Dazu liegt diesem Parteitag ein viel diskutierter Antrag vor. Was wollen wir damit erreichen? Einen optimalen Einsatz öffentlicher Mittel mit möglichst hohem Ertrag für die Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen die Dezentralisation der Kompetenzen – wir wollen nicht eine überteuerte Verwaltung, nicht die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Dafür muss man aber die geeigneten Strukturen schaffen. Strukturen, die auch Perspektive haben – und nicht schon wieder ein wenigen Jahren zur Disposition stehen könnten. Daher unser Engagement für starke Regionalkreise: stark gegenüber der Landesregierung – stark für die Bürgerinnen und Bürger – stark auch in einem zusammen wachsenden Mitteldeutschland.

12. Rechtsextremismus ist auf all die beschriebenen Herausforderungen keinerlei wirkliche Antwort – er bietet vor allem den dumpfen, autoritären, gewaltbereiten Reflex auf tiefgreifende Wandlungen und tatsächliche Zumutungen. Deswegen hängt für die soziale Demokratie sehr viel davon ab, wie diese Wandlungen politisch und gesellschaftlich bewältigt werden. Sozial verantwortungsbewusste Politik, sozial verantwortungsbewusste Unternehmen – und eine starke Zivilgesellschaft: dies alles gehört zusammen, wenn der Rechtsextremismus in die Schranken gewiesen werden soll. Und unverzichtbar ist eben auch eine offensive Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen und ausländerfeindlichen Tendenzen, Handlungen, Thesen. Demokratische Linke spielen nicht mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern und Begriffen, sie appellieren nicht an die niederen Instinkte. Wir werden unser Konzept für die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nach der Klausur der Landtagsfraktion im Frühherbst 2005 vorlegen.

13. Schließlich ein Wort zum demografischen Wandel. Er ist eine Realität. Eine schöne, so weit er das längere, sinnerfüllte Leben der alten Menschen beinhaltet – ein Gedanke, der viel zu oft untergeht. Er ist aber auch eine schwierige Realität – die Realität der nicht geborenen Kinder, der Abwanderung. Potenziert durch die Misere am Arbeitsmarkt. Es ist politisch unverantwortlich, sich dieser Probleme zu verweigern. Kein Kabinett, kein Parlament, nicht einmal ein PDS-Parteitag können die Kindern ins wirkliche Leben hinein beschließen, die seit Anfang der 90er Jahre nicht geboren wurden. Die Schrumpfungsprozesse sind eine objektive Realität – und wenn wir die Augen vor ihnen verschließen, werden wir zulassen und befördern, dass daraus Degenerationsprozesse werden. Es geht also darum, die Probleme des demografischen Wandels politisch zu gestalten – nicht darum, sie zu ignorieren. Deswegen ist es gut, dass an unserem Konzept zum ländlichen Raum weiter gearbeitet wurde.

Aber natürlich geht es nicht nur darum, mit den Schrumpfungsprozessen umzugehen – sondern, darum, etwas dagegen zu tun. Das heißt: Etwas dafür zu tun, dass wieder mehr Kinder in unserem Land geboren werden. Deswegen ist es gut, dass auch unser familienpolitisches Konzept erneuert wurde.

III. Schlussfolgerungen

Liebe Genossinnen und Genossen –

wir haben in den letzten Jahren viel, hart und gut gearbeitet – unter nicht immer leichten Bedingungen. Wir haben im politischen Tagesgeschäft unseren Mann, unsere Frau gestanden – und wir haben intensiv an unseren Vorstellungen für die Zukunft unseres Landes gearbeitet. Wir haben eine Menge erreicht. Wir haben etwas zu bieten. Und: Wir sind wir!

Wir sind wir – und wir werden mit unseren politischen Vorstellungen, mit eigenständigen Konzepten in den Wahlkampf gehen. Und wir werden diesen Wahlkampf als eine inhaltlich fundierte Auseinandersetzung um die Zukunft unseres Landes führen. Wir lamentieren nicht über die handwerklichen Nöte der Politik. Wir tun nicht wichtig mit parteipolitischem Hickhack und sinnlosen Koalitionsspielen – sinnlos deswegen, weil es nicht um Parteien, sondern um das Land geht. Um Innovation und soziale Gestaltung Sachsen-Anhalts, um seine Zukunft in sozialer Gerechtigkeit. Dafür stehen wir. Dafür wollen, dafür werden wir selbstbewusst um die politische Führungsrolle in diesem Land kämpfen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger muss unser Ziel sein!!

Wittenberg, 19. Juni 2005

- Es gilt das gesprochene Wort! -


 
 
Suchen
Termine
Spenden
Parteireform
Mitglied werden
die Jugend der PDS
Frauen in der PDS

Impressum
update 20.06.05
Seitenanfangzurück