1.
Tagung des 9. Landesparteitages der PDS Sachsen-Anhalt
am 18. und 19. Juni 2005 in Wittenberg
Rede
von Wulf Gallert
Sachsen-Anhalt
am Scheideweg
I. Die aktuelle
Situation
Die bundespolitischen
Ereignisse beherrschen zur Zeit in nachvollziehbarer Weise die
politische Diskussion auch auf der Landesebene. Trotzdem ist und
bleibt es unserer Aufgabe, 9 Monate vor den nächsten Landtagswahlen
die soziale und ökonomische Situation des Landes zu analysieren
und unserer Strategien für die Entwicklung Sachsen-Anhalts
in den Ring der politischen Auseinandersetzung zu werfen.
Wie stark
die Koalition von CDU und FDP eine solche Auseinandersetzung fürchten,
machte der Vorschlag der FDP-Landesvorsitzenden C. Pieper deutlich,
die LT-Wahlen in Sachsen-Anhalt gleich auf den Bundestagswahl-Termin
im September dieses Jahres vorzuziehen, um sich hinter dem Bundestrend
zu verstecken. Natürlich kann man dies bei Umfrageergebnissen
von ca. 5 % auf Landesebene verstehen. Allein dieser Vorschlag
macht deutlich, dass man offensichtlich selbst nicht an die eigene
Erfolgspropaganda glaubt, nachdem sich Sachsen-Anhalt seit der
Regierungsübernahme von CDU/FDP von einem irdischen Jammertal
zum Land, in dem Wirtschaftskraft und Investitionen fließen,
entwickelt hatte.
Vor diesem
Hintergrund wäre es ein Leichtes, dieser Koalition die sozialen
Verwerfungen und ökonomischen Misserfolge - in Sachsen-Anhalt
seit 2002 - vorzuwerfen, um dann aus der Oppositionssicht blühende
Landschaften zu versprechen.
Eine solche
Kampagne könnte sehr erfolgreich sein, - 2002 fand sie unter
dem Motto Höppner geht die Arbeit kommt
oder Rote Laterne abwählen - statt und sie hat
zum Erfolg für CDU/FDP geführt.
Liebe GenossInnen,
ich appelliere jedoch an uns als Landespartei, einen solchen Weg
nicht zu gehen. Wir würden damit diejenigen ignorieren, die
trotz widriger Rahmenbedingungen sich in Wirtschaft und Gesellschaft
behaupten konnten, wir würden diejenigen zusätzlich
entmutigen, die in dieser Gesellschaft massenhaft durch Arbeitslosigkeit,
Hartz IV, einem selektiven Bildungssystem und vielem mehr an den
Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
Deswegen,
und nicht aus Angst vor der Härte der Wahlkämpfe sollten
wir vorsichtig sein mit Einschätzungen zur Lage im Land,
die durch Begriffe, wie verheerend oder katastrophal, gekennzeichnet
sind. Deswegen sollten wir aber auch Zurückhaltung üben
in Versprechungen von 100 000den von Arbeitsplätzen oder
der massiven Erhöhung der Kommunalfinanzzuweisungen aus der
Landeskasse.
Geboten ist
vielmehr eine Analyse der realen Voraussetzungen in Sachsen-Anhalt
der Risiken und der Chancen.
Im Ergebnis
einer solchen Analyse kommen wir zu dem Schluss, dass sich Sachsen-Anhalt
am Scheideweg befindet. Trotz des massiven Einsatzes von öffentlichen
Mitteln müssen wir weiter konstatieren, dass abgesehen von
kurzfristigen Effekten Sachsen-Anhalt sich sozial-ökonomisch
und kulturell in Stagnation - zum Teil in Degenration - befindet.
Wichtige Parameter
dazu sind unter anderem die Wirtschaftsdaten - die Entwicklung
des BJP, der Arbeitslosigkeit, des Steueraufkommens. Alle wesentlichen
Rahmendaten widersprechen der These von der Annäherung des
Ostens an den Westen, in Sachsen-Anhalt, wie im gesamten Osten
Deutschlands.
Die zentrale
Gefahr für unser Land geht jedoch von einem anderen Phänomen
aus - der anhaltende und gravierende Bevölkerungsverlust
-. Zum einen zeigt die anhaltende geringe Geburtenrate in unserem
Land den weit verbreiteten Zukunftspessimismus in der Bevölkerung,
zum anderen macht sich hier schon schmerzhaft die Abwanderung
der Elterngeneration bemerkbar. Darüber hinaus hält
der Wanderungsverlust des Landes an. Er betrug 2004 wieder rund
16 000 Menschen und war damit deutlich höher als 2003.
Diese Entwicklung
bestimmt die zentrale Herausforderung von Politik in den nächsten
Jahren in Sachsen-Anhalt. Die Abwanderung betrifft vor allem die
Jungen, die Frauen und die höher Gebildeten. Die Gefahr besteht
darin, dass wir die Träger der mittel- und langfristigen
Entwicklung für unser Land verlieren.
Diese Gefahr
zu konstatieren, reicht jedoch nicht aus, wir müssen die
Ursachen für diese Entwicklung definieren und daraus Handlungsalternativen
ableiten. Dabei geht es vor allem um eine qualitative Analyse
- der Ruf nach einfach mehr Geld wird kaum zielführend sein
und hat auch in der Vergangenheit nicht zum Erfolg geführt.
Das eigentliche
Problem des Osten Deutschlands, insbesondere Sachsen-Anhalts,
ist der Versuch, den Osten ab 1990 nach dem Vorbild des Westens
der 80er Jahre aufzubauen. Mit Unsummen von Steuergeldern ist
versucht worden, in einen gesättigten Markt zu intervenieren
und konventionelle Industriestruktur auf der Basis öffentlicher
Förderung und niedrigerer Lohnkosten zu installieren.
Gleichzeitig
musste sich aber die Industriegesellschaft auf den Qualitätssprung
zur wissensbasierten Produktion und globalisierten Rahmenbedingungen
einstellen. Schlagartig konkurrierten nun die Billigarbeitsplätze
in Ostdeutschland mit denen in Polen, in der Ukraine, in Indien
und Vietnam.
Zur Zeit erleben
wir die radikale Marktbereinigung in diesem Bereich und den lächerlichen
Versuch, über Lohndumping und Arbeitszeitverlängerung
konkurrenzfähig zu bleiben.
II. Unser
politisches Programm für Sachsen-Anhalt
Wie kann man
jedoch darauf reagieren? Aus meiner Sicht dürfen wir uns
nicht in die Sackgasse der sicher gut gemeinten, aber ebenso erfolglosen
konservativen Sozialstaatspolitik hineinbegeben.
Spätestens
seit Karl Marx kennen wir die Wechselwirkung von Basis und Überbau
- von Produktivkraftentwicklung und politischen Systemen. Sich
der Globalisierung der Wirtschaftsprozesse sowie der Entwicklung
zur wissensbasierten Produktion zu widersetzen, wäre die
moderne Form der Maschinenstürmerei. Unser Ziel muss die
politische Gestaltung dieses Prozesses sein, unsere Politik muss
darauf gerichtet sein, den Grundwert der sozialen Gerechtigkeit
als Ziel und Basis der gesellschaftlichen Innovationsprozesse
zu definieren.
Im Zentrum
unserer Überlegungen steht der Mensch als Träger dieser
Entwicklung. Die wissensbasierte Gesellschaft kennt als entscheidenden
Entwicklungsmotor den innovativen Arbeitnehmer, den produktiven
Unternehmer, den engagierten Bürger in der Kommune, der nicht
durch permanente Existenzangst und einen vormundschaftlichen Kontrollstaat,
wie ihn viele Menschen mit ALG II zu Zeit erleben, in seiner Würde
bedroht oder verletzt wird.
Wenn aber
der Mensch mit seinem fachlichen und gesellschaftlichen Potenzial
den Kern der Entwicklung bestimmt, dann brauchen wir auch ein
substanzielles Umsteuern in der Politik, in der mit den überkommenen
Weisheiten gebrochen wird und die Herausforderungen der Zukunft
bewältigt werden können. Dazu benötigen wir auf
Landesebene en radikales Umsteuern - ein qualitativer Schritt,
den diese Landesregierung nicht gehen will und auch nicht gehen
kann -.
Nach der Klausurtagung
im September werde ich der Partei und der Öffentlichkeit
dazu ein komplexes Konzept zur langfristigen Entwicklung des Landes
vorlegen, in dem die Arbeit von Wissenschaftlern, der Fraktion
und von Facharbeitskreisen eingeflossen ist.
Im Folgenden
will ich die wichtigsten Eckpunkte unserer Handlungsstrategie
kurz zitieren:
1. Die PDS
tritt für eine völlige Neuorientierung in der Haushaltspolitik
der öffentlichen Hand auf der Basis der Bildungsquote als
Ablösung der Investitionsquote ein. Wertschöpfungsprozesse
werden in der Zukunft hier und nicht durch den Standort von Fabrikhallen
entschieden (Konzept vorgelegt ® Öffentliche Diskussion)
2. Der gleichberechtigte
Zugang aller zur Bildung, der vor allem durch die jetzige Landesregierung
im KiföG-Bereich, aber nicht nur dort (Musikschulen) beschnitten
wird. Die BRD entwickelt sich in bezug auf das Bildungskapital
zu einem mittelalterlichen Ständestaat. Während Kinder
aus bildungsfernen Familien kaum höhere Schulabschlüsse
schaffen, ist der Studienplatz für den Arztsohn faktisch
garantiert. Die Ursachen hierfür liegen vor allem in der
Phase der frühkindlichen und Grundschulbildung. In Sachsen-Anhalt
verschärft sich die Situation noch dadurch, dass immer mehr
Kinder in sozial prekären Verhältnissen (Bedarfsgemeinschaften)
leben, die objektiv nicht die Möglichkeit zur vollen Teilnahme
am gesellschaftlichen Leben haben. In Sachsen-Anhalt werden viel
zu wenig Kinder geboren - aber dieses Land ist nicht bereit und
in der Lage, diese wenigstens optimal zu fördern -.
Wenn Herr
Böhmer und Herr Paqué über die Belastung der
nächsten Generation durch die Haushalts-Verschuldung jammern,
dann sagen wir: Werte Herren, der eigentliche Skandal besteht
darin, dass einem großen Teil der nächsten Generation
der Zugang zum all entscheidenden Bildungskapital verwehrt und
uns damit als Gesellschaft insgesamt die Perspektive genommen
wird dagegen sind die beachtlichen Gefahren, die von einer
Überschuldung der öffentlichen Haushalte ausgehen, eher
zu zweitrangig.
Die konzeptionelle
Basis für die Förderung ist der von der PDS unterstützte
Gesetzesentwurf zur Kinderbetreuung des Volksentscheides. In den
nächsten Wochen wird die Landtagsfraktion ein überarbeitetes
Konzept zur Bildung elementar für den frühkindlichen
Bereich vorstellen.
3. Reden wir
über die Schule. Sachsen-Anhalt hat hier einiges an Veränderungen
durch verständlicher Weise ist vieles als Hüh
und Hott, als Hin und Her verstanden worden. Und trotzdem: Veränderungen
tun not. Unsere Landtagsfraktion hat im Frühjahr ein Schulkonzept
vorgestellt, das beides berücksichtigt. Das den Übergang
zu längerem gemeinsamen Lernen einer der wichtigsten
Lehren aus den für uns vernichtenden PISA-Studien
in Sachsen-Anhalt möglich macht, ohne für die jetzt
lerndenden Schülerinnen und Schüler alles durcheinander
zu bringen. So sollen zunächst die unterschiedlichen Schultypen
für Abschlüsse auch von anderen Schultypen geöffnet
werden. In der Perspektive freilich brauchen wir auch in Sachsen-Anhalt
eine moderne Schule für alle, eine Sekundarschule für
alle. Das hängt im übrigen auch das zeigen die
aktuellen Debatten und Entscheidungen in Mecklenburg-Vorpommern
mit der Notwendigkeit zusammen, Kindern aus den immer dünner
besiedelten ländlichen Räumen Schulbildung in hoher
Qualität und noch erträglicher Entfernung vom Wohnort
anbieten zu können. Das gegliederte Schulsystem ist eben
einfach in jeder Hinsicht zu uneffektiv und zu teuer. Schlechte
Bildung zu hohen Kosten und bei hoher sozialer Ausgrenzung
damit muss nun wirklich Schluss gemacht werden. Für die nächste
Legislaturperiode werden wir einen entsprechenden Schulgesetzentwurf
vorlegen.
4. Eine soziale
und demokratische Reform ist auch für die Berufsausbildung
nötig und möglich. Es geht nicht allein darum, dass
Elend zu überwinden, dass jedes Jahre wieder Ausbildungsplätze
fehlen. Es geht auch darum, die Jugendlichen, die ohne Ausbildungsplatz
blieben, in irgendwelchen Maßnahmen zu parken, die ihnen
auch nicht helfen. Zwei Dinge müssen angepackt werden:
a) Jugendliche
mit schlechten Schulabschlüssen dürfen nicht von der
beruflichen Ausbildung ausgeschlossen werden und sie brauchen
im Zusammenhang mit der Berufsausbildung die reale Chance, ihre
Voraussetzungen aufzubessern. Wir haben einfach nicht das Recht,
erst die kleinen Kinder vom Zugang zu Bildung auszuschließen,
dann die Sechs- bis Sechzehnjährigen durch ein fehlkonstruiertes
Schulsystem zu schleusen und am Ende die Verlierer dieses Prozesses
auch noch von einer hinreichenden beruflichen Qualifikation fern
zu halten. So kann man gesellschaftliche Verantwortung nicht buchstabieren!!
b) Auf der
anderen Seite müssen die traditionell strengen Grenzen zwischen
beruflicher Ausbildung und Hochschulqualifizierung aufgebrochen
werden. Das setzt sicher einerseits eine stärker praxisbezogene
Komponenten beim Hochschulstudium voraus andererseits (und
das vor allem) eine besseren Anschluss der beruflichen Ausbildung
an Hoch- und Fachschulniveau. Eine Informations- und Wissensgesellschaft,
eine high-tech-basierte Wirtschaft kennt den klassischen Unterschied
zwischen Hufschmied und Professor eben nicht mehr also
muss das endlich auch in den berufsvorbereitenden Bereichen deutlich
werden!
Am Ende geht
es nicht um gute Zensuren und interessante Seminare sondern
es geht um schlaue Köpfe und um deren Lebenschancen. Nach
der Ausbildung muss der Job stehen! Wir wollen dazu beitragen,
für junge Leute die Schwellen vor der Erwerbsarbeit abzubauen.
Deswegen werden wir bis Dezember eine Überarbeitung unseres
Konzeptes Jugend in Arbeit (JinA) vorlegen.
5. Weil wir
es mit Innovation und Bildung wirklich ernst meinen, sagen wir
im Wissen um die Haushaltslage des Landes: Die zehnprozentige
Kürzung im Hochschulbereich, die die jetzige Landesregierung
vorgenommen hat, wird rückgängig gemacht! Dieses Land
hat nur eine Perspektive auf der Basis von wissensbasierter Produktion
also liegen hier die entscheidenden Zukunftsinvestitionen.
Die demografische Entwicklung ist hier nun wirklich kein geeignetes
Gegenargument! Liebe Genossinnen und Genossen wenn wir
denn wissen, dass wir im Land zu wenig junge Leute haben, dann
müssen wir doch wohl erstens dafür sorgen, dass möglichst
viele von ihnen bleiben. Und zweitens müssen wir unser Land
interessant und attraktiv für den Zuzug junger Menschen aus
anderen Ländern machen! Ja, richtig: Wir wollen junge Menschen
aus anderen Teilen Deutschlands, Europas, der Welt perspektivisch
nach Sachsen-Anhalt locken. Sachsen-Anhalt soll langfristig ein
europäischer Hochschul-Standort werden. Dazu gehört
auch der Verzicht auf Studiengebühren und die damit verbundene
soziale Auslesen wir wollen die Kreativität von jungen
Menschen aus allen sozialen Schichten. Dafür scheuen wir
uns nicht, auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zu
fordern.
6. Auch die
Wirtschaftsförderung muss strikt darauf ausgerichtet werden,
ein innovatives nachhaltiges Potenzial zu stabilisieren, zu entwickeln
und aufzubauen. Das wird Einschnitte mit sich bringen aber
die Mittel sind nicht unendlich; Milch und Honig im Überfluss
hat niemand zu verteilen. Eine raffiniert ausgetüftelte breite
Förderung nach Branchen und Regionen werden wir uns nicht
länger leisten können zumal der Ertrag dieses
Ansatzes bisher auch kritisch hinterfragt werden darf. Wie wir
uns eine solche moderne Wirtschaftsförderung vorstellen,
werden wir bald im Detail deutlich machen. Im Oktober stellen
wir unser Konzept Wissenschaf(f)t Arbeit vor
und werden damit auch zeigen, wie die Potenziale von Hochschulen
und Wirtschaft im Lande sinnvoll verknüpft werden können.
7. Innovation
statt Billiglohn dies muss die Alternative für die
wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Osten sein. Darüber
gibt es über die Grenzen der PDS hinaus, z. B. mit den Gewerkschaften,
aber auch mit SozialdemokratInnen, Konsens. Billiglohn setzt eine
Spirale sozialer Depression in Gang wir erleben das schon:
das soziale und kulturelle Lebensniveau der Menschen sinkt, die
Binnennachfrage geht zurück, technischer Fortschritt wird
erschwert, ein innovationsfeindliches Klima entsteht. Dieser Entwicklung
muss man auf zwei Ebenen begegnen:
a) Einführung
eines gesetzlichen, bedarfsorientierten Mindestlohns.
b) Einfache
Arbeit zu menschenwürdigen Bedingungen. Schluss damit, dass
der Globalisierungsdruck vor allem bei den gering Qualifizierten
abgeladen wird oder bei denen, die in solche Jobs abgedrängt
wurden, die nur eine geringe Qualifikation erfordern. Nein, liebe
Genossinnen und Genossen diese Arbeit, die es trotz Übergang
zur Wissensgesellschaft noch in beträchtlichen Größenordnungen
gibt und geben wird, soll für die Betroffenen wie für
die Unternehmen lohnender werden. Das ist die Antwort! Also: Statt
Nettolohnreduzierung, wie sie von den anderen Parteien betrieben
werden, jetzt eine Bruttolohnentlastung. Die Solidarität
der Gesellschaft soll sich in einer (vollständigen oder teilweisen)
Freistellung der Arbeitsverhältnisse der unteren Tarifgruppen
von Sozialabgaben und Steuern für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
ausdrücken dies unter der Voraussetzung, dass an Tarifstrukturen
überhaupt festgehalten wird und das zusätzliche Beschäftigung
entsteht. [Magdeburger Alternative] Wir werden unsere Vorstellungen
dazu bis Jahresende in den neu gefassten arbeitsmarktpolitischen
Leitlinien darlegen.
8. In diesen
Leitlinien wird es auch noch um etwas anderes gehen nämlich
um die Frage nach neuen Arbeitsplätzen, nach neuer Arbeit.
Liebe Genossinnen und Genossen, allein mit Hartz IV sind Milliarden
aufgewandt worden, die letzten Endes nur dazu dienen, den Ausschluss
von Menschen aus der Erwerbsarbeit zu finanzieren bei gelegentlichen
Gastrollen am Rande der Arbeitswelt als Ein-Euro-Jobber
alles in allem also auf elendem Niveau. Anders herum wird ein
Schuh daraus! Wir wollen diese Milliarden nutzen und damit richtige,
reguläre, SV-pflichtige Beschäftigungsverhältnisse
einrichten. Der erste Schritt soll sein, Langzeitarbeitslosen
zunächst all das, was sie an Zahlungen erhalten Mehraufwandsentschädigung
aus dem Ein-Euro-Job, ALG, Wohngeld und dazu einen Aufstockungsbetrag
etwas aus der wieder einzuführenden Vermögenssteuer
nicht als Almosen, sondern als Nettolohn auszuzahlen. Sie arbeiten
anständig, also muss man sie auch wie anständige Arbeitnehmer
behandeln. Wo aber könnten sie arbeiten? Dort, wo Dienstleistungen
für einzelen und für das Gemeinwesen aus der Sicht der
Privatwirtschaft nicht profitabel erscheinen. Dort, bei solchen
neuen Tätigkeiten, wollen wir über einen längeren
Zeitraum erproben, ob Projekte sich nach einiger Zeit selbst tragen,
ob dauerhafte öffentliche Finanzierung stattfinden soll oder
ob eine zahlungswillige Nachfrage eine Teilerwirtschaftung der
Kosten im Rahmen öffentlich geförderter Beschäftigung
ermöglicht. Auch zu solchen Fragen werden wir uns
mit unseren arbeitsmarktpolitischen Leitlinien bis Jahresende
äußern.
9. Was ist
mit denen, die aus dem Erwerbs- und Wirtschaftsleben heraus gedrängt
wurden? Die aus anderen sozialen, gesundheitlichen oder altersbedingten
Gründen nicht mit eigener Hände Arbeit für ihren
Lebensunterhalt sorgen können? Die sich in Jobrotation befinden?
Sie brauchen jenseits der bestehenden und zu verteidigenden
sozialen Sicherungssysteme eine bedarfsorientierte soziale
Grundsicherung. Das ist eine Frage der Würde des Menschen,
eine Frage des anständigen Umgangs miteinander in einer Gesellschaft
im Umbruch. Es ist auch eine Frage der Voraussetzungen für
die aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen.
Rot-Grün im Bund hat einige Schritte in Richtung einer sozialen
Grundsicherung unternommen allerdings im Gewand von Hartz
IV und alles in allem nicht armutsfest. Diese Grenzen wollen wir
nicht akzeptieren. Im Dezember 2005 stellen wir unser sozialpolitisches
Konzept vor.
10. Es geht
immer wieder darum, Solidarität, mitmenschliche Verantwortung
und Eigenverantwortung in der Balance zu halten und deswegen
neu zu organisieren. Vor diesem Hintergrund plädieren wir
für Bürgerkommune und Bürgergesellschaft in Verbindung
mit einem aktiven Staat. Dabei setzen wir einen klaren Akzent:
Wir wollen die weiter gehende Demokratisierung der Gesellschaft
und wir sehen darin nicht allein die Ausweitung der Partizipation,
sondern dazu gehören eben auch unverzichtbar deren soziale
und materielle Voraussetzungen. Deswegen ist für uns eben
die Bürgerkommune nicht der Notbehelf nach dem Abbau des
Sozialstaats. Aus dem Antrag an den Parteitag wird das deutlich.
Es wird deutlich, dass wir damit jenseits der Vorstellungen vom
fürsorglichen Staat mit radikalen Hierarchien stehen. Es
wird deutlich, dass wir für die Verteidigung bürgerlicher
Freiheitsrechte stehen beim Akteneinsichtsrecht, beim Datenschutz,
bei Menschenrechtsverletzungen durch den Staat.
11. Wir stehen
auch für eine moderne und leistungsfähige Verwaltungsstruktur.
Dazu liegt diesem Parteitag ein viel diskutierter Antrag vor.
Was wollen wir damit erreichen? Einen optimalen Einsatz öffentlicher
Mittel mit möglichst hohem Ertrag für die Bürgerinnen
und Bürger. Wir wollen die Dezentralisation der Kompetenzen
wir wollen nicht eine überteuerte Verwaltung, nicht
die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Dafür
muss man aber die geeigneten Strukturen schaffen. Strukturen,
die auch Perspektive haben und nicht schon wieder ein wenigen
Jahren zur Disposition stehen könnten. Daher unser Engagement
für starke Regionalkreise: stark gegenüber der Landesregierung
stark für die Bürgerinnen und Bürger
stark auch in einem zusammen wachsenden Mitteldeutschland.
12. Rechtsextremismus
ist auf all die beschriebenen Herausforderungen keinerlei wirkliche
Antwort er bietet vor allem den dumpfen, autoritären,
gewaltbereiten Reflex auf tiefgreifende Wandlungen und tatsächliche
Zumutungen. Deswegen hängt für die soziale Demokratie
sehr viel davon ab, wie diese Wandlungen politisch und gesellschaftlich
bewältigt werden. Sozial verantwortungsbewusste Politik,
sozial verantwortungsbewusste Unternehmen und eine starke
Zivilgesellschaft: dies alles gehört zusammen, wenn der Rechtsextremismus
in die Schranken gewiesen werden soll. Und unverzichtbar ist eben
auch eine offensive Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen
und ausländerfeindlichen Tendenzen, Handlungen, Thesen. Demokratische
Linke spielen nicht mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern
und Begriffen, sie appellieren nicht an die niederen Instinkte.
Wir werden unser Konzept für die Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus nach der Klausur der Landtagsfraktion im Frühherbst
2005 vorlegen.
13. Schließlich
ein Wort zum demografischen Wandel. Er ist eine Realität.
Eine schöne, so weit er das längere, sinnerfüllte
Leben der alten Menschen beinhaltet ein Gedanke, der viel
zu oft untergeht. Er ist aber auch eine schwierige Realität
die Realität der nicht geborenen Kinder, der Abwanderung.
Potenziert durch die Misere am Arbeitsmarkt. Es ist politisch
unverantwortlich, sich dieser Probleme zu verweigern. Kein Kabinett,
kein Parlament, nicht einmal ein PDS-Parteitag können die
Kindern ins wirkliche Leben hinein beschließen, die seit
Anfang der 90er Jahre nicht geboren wurden. Die Schrumpfungsprozesse
sind eine objektive Realität und wenn wir die Augen
vor ihnen verschließen, werden wir zulassen und befördern,
dass daraus Degenerationsprozesse werden. Es geht also darum,
die Probleme des demografischen Wandels politisch zu gestalten
nicht darum, sie zu ignorieren. Deswegen ist es gut, dass
an unserem Konzept zum ländlichen Raum weiter gearbeitet
wurde.
Aber natürlich
geht es nicht nur darum, mit den Schrumpfungsprozessen umzugehen
sondern, darum, etwas dagegen zu tun. Das heißt:
Etwas dafür zu tun, dass wieder mehr Kinder in unserem Land
geboren werden. Deswegen ist es gut, dass auch unser familienpolitisches
Konzept erneuert wurde.
III. Schlussfolgerungen
Liebe Genossinnen
und Genossen
wir haben
in den letzten Jahren viel, hart und gut gearbeitet unter
nicht immer leichten Bedingungen. Wir haben im politischen Tagesgeschäft
unseren Mann, unsere Frau gestanden und wir haben intensiv
an unseren Vorstellungen für die Zukunft unseres Landes gearbeitet.
Wir haben eine Menge erreicht. Wir haben etwas zu bieten. Und:
Wir sind wir!
Wir sind wir
und wir werden mit unseren politischen Vorstellungen, mit
eigenständigen Konzepten in den Wahlkampf gehen. Und wir
werden diesen Wahlkampf als eine inhaltlich fundierte Auseinandersetzung
um die Zukunft unseres Landes führen. Wir lamentieren nicht
über die handwerklichen Nöte der Politik. Wir tun nicht
wichtig mit parteipolitischem Hickhack und sinnlosen Koalitionsspielen
sinnlos deswegen, weil es nicht um Parteien, sondern um
das Land geht. Um Innovation und soziale Gestaltung Sachsen-Anhalts,
um seine Zukunft in sozialer Gerechtigkeit. Dafür stehen
wir. Dafür wollen, dafür werden wir selbstbewusst um
die politische Führungsrolle in diesem Land kämpfen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger muss unser Ziel sein!!
Wittenberg,
19. Juni 2005
- Es gilt
das gesprochene Wort! -
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